Montag, 29. September 2014

Rieter


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Rieter
Angefangen hatte alles 1795 und – wie so oft – ganz bescheiden: mit einem Kolonialwarenladen an der Marktgasse und einem Ballen Baumwolle. Johann Jacob Rieter
verstand es offenbar, daraus das Beste zu machen, denn bereits 17 Jahre später eröffnete er an neuem Standort eine mechanische Baumwollspinnerei. Der Erfolg war allerdings vorerst von kurzer Dauer, hatte er sich doch auf Napoleons Wirtschaftssanktionen gegründet. Als dann die Protektion fiel, fielen auch die Preise für Baumwollprodukte. England produzierte nun dank neuer Maschinentechnologie zu so tiefen Kosten, dass Rieter nicht konkurrieren konnte. 

Johann Jacob zog daraus eine Lehre: Wer in der Textilherstellung mithalten will, muss auch über die technischen Mittel verfügen. Konkret hiess das, nicht nur Textilien herzustellen, sondern auch Produktionsmaschinen. Als echter Pionier hatte er bald schon griffige Pläne, und als gut vernetzter Politiker und Geschäftsmann verfügte er über die nötigen Beziehungen und Mittel, diese umzusetzen. 

1833 kaufte er dem Kanton das ehemalige Kloster Töss ab und hatte nun den perfekten Standort für seine Fabrik. 1851 wurde das Kloster dem Erdboden gleichgemacht - 1916 auch die Kirche -, um Platz für neue Gebäude zu schaffen. Es schmerzt, wenn man bedenkt, welche kunsthistorischen Schätze der Ökonomie geopfert wurden und schreit geradezu nach moralischer Wiedergutmachung. Sei’s drum: Wir finden sie in der Rieterschen Firmengeschichte, und zwar im Jahr 1865. 

Damals baute Heinrich Rieter für „seine“ Fabrikarbeiter eine ganz neuartige Siedlung. Das Besondere war, dass es sich nicht um herkömmliche Kosthäuser handelte, wo Menschen wie in einem Heim hausten. Nein, Rieter baute kleine Häuser, die den Familien ein Mindestmass an Privatsphäre und einen kleinen Garten zu erschwinglichen Mieten boten. Freilich wohnte man – für heutige Verhältnisse – auf engem Raum; nicht zuletzt, weil man aus Geldnot oft Untermieter aufnahm. Auch Kinderarbeit war zur Aufbesserung des Einkommens üblich. 1855 dauerte ein Arbeitstag 14 Stunden für Erwachsene – und Kinder. 

In die Schule gingen die kleinen Arbeitskräfte lediglich zweimal pro Woche. – Wer so viel arbeite, brauche eigentlich kein Haus - ein Bett zum Schlafen reiche, meint meine Freundin Sônia sarkastisch. – Immerhin, 1877 wurde die Arbeitszeit gesetzlich auf 11 Stunden täglich und das Mindestalter für Arbeiter auf 14 Jahre festgelegt. Siedlungen nach dem Vorbild von Hagenwies aber machten schweizweit Schule. In Winterthur prägen sie bis heute, meist umgebaut und renoviert, das Stadtbild. Umgebaut wurde auch die Rieter: zuerst vom Familienbetrieb zur Aktiengesellschaft und 1985 zur Holding. Nur die beiden Standbeine sind geblieben: nach wie vor produziert man sowohl Garne, als auch Maschinen(-komponenten). Der letzte Rieter aber, der im Geschäft tätig war, verstarb 1925 kinderlos.

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