Freitag, 8. August 2014

Oskar Reinhart


Oskar Reinhart mit seinen "Kindern"
Oskar Reinhart

Kennen Sie Downton Abbey? Wenn nicht, verlasse ich mich auf Ihre Phantasie. Wenn ja, wird es Ihnen leichtfallen, sich gedanklich in die Belle Epoque zu versetzen. Stellen Sie sich ein Herrenhaus vor, am besten gleich die Jugendstil-Villa Rychenberg und eine entsprechende Angestelltenschar. Dann haben Sie das Setting, in welchem der junge Oskar Reinhart aufwuchs. Deutschland, Russland und
Österreich waren Kaiserreiche (im Niedergang begriffen) und drei Monarchinnen übten stilbildenden Einfluss auf Europa aus. In England feierte Queen Victoria gerade ihr 48. Thronjubiläum, Kaiserin Sissi in Wien ihren 48. Geburtstag und am Untersee im Schloss Arenenberg stieg hin und wieder die französische Ex-Kaiserin Eugénie ab, als in Winterthur 1885 O.R. als jüngster von vier Söhnen zu Welt kam. 

Ihren Interessen folgend, widmeten sich die Brüder Reinhart der Führung der Firma Volkart (Georg), der Dichtung (Hans), der Musik (Werner), sodass für Oskar noch die Kunst blieb. Nicht dass ihn das störte, im Gegenteil. Seit er als Kind mit dem Vater ein Künstleratelier besucht hatte, stand sein Ziel fest: sich als Sammler ganz der Kunst widmen. Was ihm vorschwebte, war eine umfassende Bildersammlung; was er schuf, war ein Gesamtkunstwerk ausgewählter europäischer Malerei. Von Beruf Kaufmann, bereiste O.R. als junger Mann England und Indien, um sich dann 1924 in Winterthur niederzulassen. Sein neues Domizil am Römerholz hätte mühelos die Filmkulisse für einen Cary-Grant-Grace-Kelly-Film abgegeben, mit Hallen-, Frei- und Sonnenbad, mit Treibhäusern und als Besonderheit einem Heim für pensioniertes Personal. 

Filmreif waren auch O.Rs. Auftritte in seinem Automobil, einem Armstrong Siddeley, mit ausklappbarem Trittbrett. - In den letzten Lebensjahren sei er oft von seiner jungen, hübschen Privatsekretärin begleitet worden, weiss meine Freundin Sônia.  – Tatsächlich wohnte O. R. im Römerholz im Kreise seiner Angestellten - nie aber einer eigenen Familie - und seiner Bilder. Letztere nannte er scherzhaft seine Kinder. Im Gegenzug sprachen die Bediensteten inoffiziell vom „Vater“. Er muss ein grosszügiger, warmherziger Mensch gewesen sein und einer mit Humor. 

Berichtet wird die Anekdote einer bayrischen Reisegruppe, die seine Sammlung besuchte. Unter den Reisenden einer in Lederhosen, der vor einem Renoir fragt: „Wos isch des den für a Bild?“ Auf die Antwort, „ein Renoir“, bekennt der Banause: „Den kenn i nit“, um sich dann vor der eben noch peinlich berührten Gesellschaft als ihr Gastgeber zu outen. Gäste empfing O.R. aus aller Welt. Künstler gehörten dazu, aber auch Politiker. Im Alter aber zog er sich aus dem öffentlichen Leben zurück. Als er 1965 in seinem 80. Lebensjahr starb, hinterliess er eine Schar von nicht weniger als 600 „Kindern“: Sie ist sein Kunst-Werk, bis heute zu sehen am Stadtgarten und am Römerholz

Am 28.8.14 erfahren Sie mehr über ein Winterthurer Phänomen!

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