Mittwoch, 12. November 2014

Uhrenflüsterer




Der Uhrenflüsterer

 Uhrenflüsterer

Womit gibt Mann an, wenn die Luxuskarosse geparkt ist? – Richtig, mit dem Chronographen. Das war auch schon vor 500 Jahren nicht anders. Nur hingen die Uhren damals nicht an Handgelenken, sondern an Türmen und fungierten als Statussymbole einer ganzen Stadt. Wie der Gemeinsinn seit damals kontinuierlich abhandenkam, liesse sich übrigens
ausgezeichnet an der Entwicklung der Zeitmesser ablesen. Aber das nur als Randbemerkung – die übrigens von meiner Freundin Sônia stammen könnte. Tut sie aber nicht, denn die Gute lebt auch ohne Uhr ganz glücklich und möchte sich zu diesem Thema nicht äussern. 

Sei’s drum, die Geschichte der Uhren gehört zu Winterthur wie die der Sulzer oder Rieter, hat aber bereits etwas Patina angesetzt. Sie beginnt im Jahr 1529 in einer Zeit, als Uhrmacher noch Schlosser und umgekehrt waren. Damals leistete sich die Stadt ihre erste Turmuhr, und zwar am Käfigturm, am Untertor bzw. Unteren Bogen. Es war das Meisterwerk eines Winterthurer Handwerkers, der über die Grenzen der Stadt hinaus bekannt war: Lorenz Liechti. 

Nicht weniger als 14 Uhren baute der in nur 20 Jahren. Dass das Knochenarbeit war, veranschaulichen  die Ausmasse des Winterthurer Prunkstücks mit einem Zifferblatt von 1,8 Meter Durchmesser und einem Uhrwerk in Schmideisen von 1,95 x 1,25 x 2,12 m; eine astronomische Uhr, die heute noch im Museum Lindengut besichtigt werden kann. L.L, so signierte der Meister selbstbewusst, legte mit seiner Handwerkskunst den Grundstein für elf weitere Liechti-Generationen. Bis 1857 waren sie als Uhrmacher oder -händler tätig. Dann verlor dieses Handwerk in Winterthur an Bedeutung. 

Die Liechtis wären wohl in Vergessenheit geraten, wenn nicht ein Thurgauer sich um ihr Erbe gekümmert hätte. Konrad Kellenberger war mit 15 nach Winterthur gekommen, um eine Lehre als Mechaniker zu absolvieren. Seine wahre Liebe galt aber den Uhren, die er reparierte, pflegte und bald auch sammelte. Wie die Hahnlosers oder Reinharts Kunst, begann K.K. – mit ungleich kleinerem Budget - Uhren zusammenzutragen. Mit 19 kaufte er eine kleine Schwarzwälder Uhr, mit 63 verkaufte er der Stadt zu einem bescheidenen Preis eine umfassende Sammlung von internationaler Ausstrahlung. 

Zeitgenossen geraten regelrecht ins Schwärmen, wenn sie von KKs Meisterschaft im Umgang mit Uhren berichten. Bald schon war er im In- und Ausland ein gefragter Experte, ein Uhrenflüsterer, den man beizog, wenn eine wertvolle Uhr nicht mehr richtig tickte. KK betrieb die Uhrmacherei als Liebhaber – im simplen Wortsinn – und als Forscher, war technisch ebenso versiert wie astronomisch, astrologisch, historisch und künstlerisch.  Und so ticken sie auch heute noch, die Uhren seiner Sammlung -  im Gewerbemuseum am Kirchplatz. Jede in ihrem Rhythmus und jede mit einem Geheimnis, das es zu entdecken gilt.

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