Sonntag, 2. März 2014

Chileplatz

Chileplatz  

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Niemand des Schwiizerdütschen kundig, würde vom Kirchplatz sprechen, wenn von ihm die Rede ist. Chile ist Chile. Und damit sie im Dorf bleibt, dafür haben die Winterthurer seit jeher und bis heute gesorgt. Zahlreiche Stadtansichten belegen es,
und ein Sonntagsspaziergang dem Lindberg, Brühlberg oder Eschenberg entlang wird Ihnen bestätigen: Die Kirche und ihr Platz stehen im Zentrum der Stadt, in medias res sozusagen, in der Mitte des Geschehens.

Gut möglich, dass Ihr Bauchgefühl etwas anderes sagt, dass Sie sich nämlich auf dem Chileplatz eher im Abseits wähnen. Geradeso, als hätten Sie das geschäftige Treiben verlassen und eine beschauliche Welt betreten. Tatsächlich war der Chileplatz bis anno 1826 städtischer Friedhof. Mit der Ruhe war es aber spätestens 1610 vorbei, als vor Ort die Mädchenschule einquartiert wurde. Die war nämlich aus allen Nähten geplatzt, nachdem die alte Lehrgotte mehr aus Not denn Überzeugung von den Verantwortlichen durch einen Lehrer ersetzt worden war. - Der müsse wohl gut ausgesehen haben, ist meine Freundin Sônia überzeugt. - Ob dem so war oder ob es an der Qualität seines Unterrichts lag, dass sich die Schülerinnenzahl innert Kurzem verzehnfachte, verrät meine Quelle nicht. Nur so viel: Der Herr Pfarrer hatte regelmässige Kontrollgänge zu unternehmen, während die Mädchen Lesen, Schreiben und Rechnen lernten - und Psalmen sangen.

Mit ihren Gesängen belebten die Schülerinnen dann die sonntäglichen Predigten in der nahen Stadtkirche, und bald schon gesellten sich zu ihren Stimmen noch andere Klänge: 1629 wurde das Winterthurer Musikkollegium gegründet. Sein hauptsächliches, aber nicht einziges Ziel war die musikalische Bereicherung der stadtkirchlichen Gottesdienste. Diese Musikkollegen waren offensichtlich eine rührige Gesellschaft, die sich auch der Leseförderung annahm und 1660 die erste Bürgerbibliothek gründete. Was damals mit 586 Büchern begann, heisst heute Winterthurer Bibliotheken, hat einen Bestand von über einer Million Medien und ist als Filialen in acht Quartieren ansässig - als Stadtbibliothek auch am Chileplatz.

Aber zurück zu den Mädchen. Als zu Beginn des 19. Jh. der Grundstein zu einer neuen Platzgestaltung gelegt wurde, erhielten sie an selbiger Lage ein stattliches Schulhaus. Hier büffelten sie nun für gut 100 Jahre, bevor sie dem Gewerbemuseum Platz machten und ins neue Schulhaus Lee weiterzogen. Seither ist es um die Kirche wieder etwas ruhiger geworden. Seinen besonderen Charme konnte sich der Chileplatz aber bewahren und gelegentlich vernimmt man aus der Kirche auch heute noch die Klänge des Musikkollegiums.

Am 13.3. erfahren Sie, weshalb die Tages-Zeitung der sechstgrössten Schweizer Stadt Landbote heisst.

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