Dienstag, 17. Juni 2014

Lieblingsorte

Rathaus

Lieblingsorte

Jeder hat so seine Lieblingsorte: Meine Freundin Sônia beispielsweise bevorzugt einen Platz an der Sonne vor dem Gewerbemuseum, wo sie sich so richtig bis in die Knochen aufwärmen kann - für kalte Tage, wie sie sagt. Ich dagegen habe einen absolut wettersicheren Ganzjahresfavoriten: das Rathaus. Stellen Sie sich doch einmal an die Stadthausstrasse und blicken Sie durch die Rathaus-Passage Richtung Marktgasse (oder umgekehrt). Gibt es etwas
Weltstädtischeres als diese Perspektive? Fühlen Sie die Brise florentinischer Renaissance und den Hauch Mailänder Arkaden? 

Hier gehe ich hin, wenn ich Ferien brauche, denn hier finde ich alles, was es dazu braucht: ein Bistro für das leibliche und das schier undurchdringbare Dickicht eines Buchantiquariats für das geistige Wohl. Im ersten Stock ermöglicht die Sammlung Briner und Kern eine Reise in die Vergangenheit niederländischer Kunst, und wenn das Fernweh dann immer noch nicht gestillt ist, gibt es vor Ort ein Reisebüro. Nicht verpassen sollte man den ehemaligen Ratssaal im ersten Obergeschoss. Eine behäbige Holztäferwand kontrastiert mit luftigen Deckenstuckaturen, als müsste sie dafür sorgen, dass man auf dem Boden der Realpolitik bleibt. 

Gut möglich, dass hier der Entscheid zur Stadtvereinigung gefällt wurde: Was heute als Winterthurer Quartiere verstanden wird, waren einst eigenständige Ortschaften: Wülflingen, Töss, Seen, Veltheim oder Oberwinterthur. Sie haben alle – o.k. fast alle – eine altehrwürdige Geschichte, wobei Oberwinterthur eindeutig den Ehrenplatz einnimmt. – Das liege daran, dass ich hier lebe, meint meine Freundin Sônia.  Da liege sie falsch, meine ich. 

Denn tatsächlich stand hier im 1. Jh. n. Chr. einst das Kastell, von welchem aus sich römische Krieger gegen einfallende Germanen wehrten und der Tempel, wo deren Frauen für sie beteten. Die Grundmauern sind vor der Kirche St. Arbogast freigelegt und ein Inschriftsstein ist im Rathaus von Niederwinterthur – wie das Stadtgebiet einst genannt wurde - ausgestellt. Mit einer so spektakulären Geschichte können die andern Quartiere freilich nicht konkurrieren. 

Von Seen bzw. Sehaim, darf man annehmen, dass es – wenigstens zeitweise – an einem See oder doch an periodisch überfluteten Feldern lag, während Töss selbstredend auf den tosenden Fluss anspielt. Das Heim am Feld, also Veltheim, war ursprünglich eine Besitzung des Klosters St. Gallen, wogegen Wülflingen seinen Namen vom Alemannischen Sippenführer Wulfilo ableiten kann. Sie alle wurden 1922 der Stadt Winterthur in gegenseitigem Einvernehmen einverleibt. 

Schliesslich wäre da noch Mattenbach, jener Stadtkreis, den ich – gegen den energischen Protest meiner Freundin Sônia - als Verlegenheitslösung bezeichnen würde. Denn er wurde 1973 aus Schnipseln der angrenzenden Kreise Stadt und Seen konstruiert, nachdem die Matten am Bach allmählich überbaut waren. Es ist jener Kreis, den meine Freundin allen andern vorzieht – weil sie dort lebt, versteht sich.

Musik machen in Winterthur - mehr dazu am 7.7.14!

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